Vom 12. bis 14. September 2024 fand der 41. AGA Kongress im Kongresshaus Zürich statt. Es waren drei Tage voll mit inspirierenden Vorträgen, Innovationsimpulsen und wertvollem Networking. Das Programm war mit den besten Expertinnen und Experten der Gelenkchirurgie und Arthroskopie besetzt, und im Teilnehmerkreis war auch in diesem Jahr wieder das Who-is-Who deutschsprachiger Gelenkchirurginnen und -chirurgen vertreten. Prof. Dr. Gert Krischak, Vorsitzender des Funktionsbereiches Medizin der Nanz medico GmbH & Co. KG und Chefarzt der Fachabteilung Orthopädie des ZAR Friedrichshafen konnte mit seinem Vortrag "Ambulante Rehabilitation - Randnotiz oder Zukunftsmodell?" den hohen Stellenwert von Rehabilitation und insbesondere von ambulanter Reha unterstreichen.
Im Nachgang des Kongresses konnten wir mit ihm über seine Eindrücke und natürlich auch über die Inhalte seiner Präsentation sprechen.
KI - Antwort auf Fragen der Zukunft?
Gerade gibt es kaum eine Konferenz oder Diskussionsrunde, in der nicht irgendwann der Begriff KI fällt. Zum Einstieg wollten wir daher von Prof. Krischak zunächst wissen, ob das Thema "Künstliche Intelligenz" auch beim AGA-Kongress im Fokus stand und inwieweit KI dazu beitragen kann, den Fortschritt innerhalb der Orthopädie und Unfallchirurgie mitzugestalten.
Prof. Krischak bestätigte, was wir schon vermutet hatten: KI war ein großes Thema auf dem Kongress, denn schließlich haben KI-Anwendungen mittlerweile auch in Versorgung und Rehabilitation Einzug gehalten und warten mit durchaus beeindruckenden Möglichkeiten auf. So ermöglichten laut Krischak neue Technologien beispielsweise Auswertungen in der Ganganalyse anhand von Smartphone-Videos - ganz ohne spezielles Ganganalyse-Labor. "Auch wenn es für uns aktuell noch ein bisschen zu früh ist, um konkrete Ansätze in die Reha zu integrieren, beobachten wir die Entwicklungen kontinuierlich. Denn da schwappt eine Menge Potenzial rüber!", ist Krischak sicher. Und klar ist: Er möchte in den deutschlandweit 37 Zentren für ambulante Rehabilitation (ZAR) für die Patientinnen und Patienten auch bei diesen Themen Innovationen am Puls der Zeit anbieten.
Fragen der Reha-Gegenwart und einer notwendigen Ambulantisierung
Zentraler Fokus während der Kongresstage in Zürich war für den Funktionsbereichsvorsitzenden aber naturgemäß der Themenkomplex "Rehabilitation". Der hohe Stellenwert, den die Reha zwischenzeitlich in der Behandlungskette hat, da ist sich Prof. Krischak sicher, werde heute von niemandem mehr ernsthaft in Frage gestellt. Die Gelenkchirurginnen und -chirurgen wüssten sehr genau, dass die Operation zwar ein zentraler Behandlungsbaustein ist, der die Patientinnen und Patienten allerdings nur im Zusammenspiel mit weiteren Leistungen wie beispielsweise einer effizienten Reha-Maßnahme zu einem bestmöglichen Behandlungserfolg führt.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass auf dem AGA-Kongress die Rehabilitation mit vier parallelen Vortragssträngen nicht nur ein großes Thema war, sondern auch alle Sitzungen mit Reha-Fokus sehr gut besucht waren. Dass es dabei auch immer schnell in einen intensiven Austausch von innovativen Ansätzen ging, hat Prof. Krischak sehr positiv wahrgenommen, sieht auch er sich doch als eine Art Botschafter der Reha in die Gelenkchirurgie hinein.
Diese Rolle hatte er sich auch mit seinem Vortrag "Ambulante Rehabilitation - Randnotiz oder Zukunftsmodell?" auf dem AGA-Kongress in Zürich" auf die Fahnen geschrieben. Dazu hat Prof. Krischak in seinem Beitrag das Reha-System als Ganzes unter die Lupe genommen. Und er konnte dabei mit überzeugenden Zahlen belegen, warum die ambulante Reha ein Zukunftsmodell, aber deshalb noch kein Selbstläufer ist. Auch nicht in einer Zeit, in der Ambulantisierung ein zentrales Schlagwort im politischen Diskurs ist, wenn es um Lösungen für einen hohen Kostendruck und eine schleppende Versorgung geht.
"Wir leisten uns in Deutschland mit eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt", betont Krischak. "Aber dass wir uns Gesundheit so viel kosten lassen, kommt nicht in dem Maß bei den Menschen an: Wenn man die Lebenserwartung anschaut, rangiert Deutschland in der Vergleichsgruppe auf den hinteren Plätzen." Richte man ein Spotlight auf den Reha-Bereich, zeige sich, dass stationäre Leistungen nicht effektiv genug sind und der ambulante Anteil in der DACH-Region dringend gefördert werden müsse.
Große Pluspunkte ambulanter Rehabilitation
Denn die ambulante Reha ist in Punkto Kosteneffizienz unschlagbar. Dafür hatte Prof. Krischak für sein Publikum viel Zahlenmaterial mitgebracht. Daraus geht unter anderem hervor, dass die ambulante Reha rund 30 % günstiger ist - und das bei gleicher Leistung, das heißt bei nachgewiesen gleicher Wirksamkeit! Diese Aussage war schon 2017 in einem Beitrag von Prof. Dr. Christian Krauth und Tim Bartling im Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz nachzulesen, in dem die Autoren 17 Studien zur Kosteneffektivität der Rehabilitation in Deutschland unter die Lupe genommen hatten.
Dass gemäß wissenschaftlichen Studien Kosteneinsparung durch mehr ambulante Reha erzielt werden könnten, ist für Prof. Krischak nichts Neues - genauso wie die Erkenntnis, dass bei der Wirksamkeit die ambulante Reha tendenziell sogar die Nase vorn hat. Eine bereits 2007 durchgeführte Studie von Stephanie Fechtner und Prof. Dr. Matthias Bethge mit 4.752 ambulant und 7.435 stationär behandelte Rehabilitanden bestätigte schließlich, dass das Risiko für eine Berentung in Form einer Erwerbsminderungsrente 2 Jahre nach einer ambulanten Reha-Maßnahme um 30 % niedriger ist als nach einer stationären Rehabilitation. Damit zahle eine Ambulantisierung der Reha direkt auf Renteneinsparungen ein, was schließlich, so Krischak, ein Hauptaugenmerk der Rentenversicherung sei. Ein Zitat von Prof. Bethge findet Krischak in diesem Kontext besonders plakativ: "Um eine Erwerbsminderungsrente zu vermeiden, müssten 73 Patienten ambulant anstelle stationär behandelt werden."
Ein weiterer großer Pluspunkt ist in den Ergebnissen einer Analyse zur bewegungstherapeutischen Versorgung von Dr. Silke Brüggemann, Daniela Sewöster und Angela Kranzmann zu finden. Die bescheinigt der ambulanten Reha nämlich einen Fokus auf mehr Bewegungstherapie: "Bei einer ambulanten Reha erhalten die Patientinnen und Patienten durchschnittlich 1,8 Stunden mehr bewegungstherapeutische Maßnahmen als bei einer stationären Reha.", zitiert Prof. Krischak das für ihn zentrale Ergebnis der Studie. Das zahle direkt auf eine Verbesserung des Gesundheitszustandes ein. Dafür gebe es weniger an Rekreationstherapie, also Maßnahmen der Freizeitgestaltung zur Erholung und Stärkung sozialer Kompetenzen. Da die Patientinnen und Patienten während einer ambulanten Reha aber in ihr soziales Umfeld eingebunden bleiben, müsse hierauf naturgemäß auch kein besonderer Schwerpunkt gelegt werden.
Bei diesen nachweisbaren Vorteilen, ist es also kein Wunder, dass auch die Gelenkchirurginnen und -chirurgen Prof. Krischak bei Pausengesprächen eine starke Tendenz zur ambulanten Versorgung bescheinigten - und dabei nicht zuletzt auch die vorteilhafte Anbindung an lokale Versorgungszentren hervorhoben.
Wachstumsmodell der Zukunft!
Die ambulante Reha müsste also DAS Wachstumsmodell sein. Und sie ist es im Prinzip auch, wie Prof. Krischak mit einem Chart verdeutlichte: Es zeigt, dass die ambulante Reha, die momentan rund 16 % Anteil am Reha-Markt hält, das einzige Reha-Modell ist, das seit Jahren Zuwächse zu verzeichnen hat. Allerding - das gibt Prof. Krischak zu bedenken - wachse der Bereich auf einem relativ niedrigen Niveau.
Schon aufgrund der demografischen Entwicklung, aber auch mit Blick auf eine neue Generation an Bildschirm- und Computerarbeitenden ist klar: Der Bedarf an Reha wird in Deutschland in den kommenden Jahren weiter steigen. Der Kostendruck, der auch jetzt schon deutlich spürbar ist, wird dadurch noch viel größer werden. Mehr ambulante Reha wäre DIE Lösung dieses Problems, das konnte Prof. Krischak in seinem Vortrag herausarbeiten. Momentan, so Krischak, gehe die Ambulantisierung in der Reha aber leider noch schleppend und unendlich langsam voran. Von der vielbeschworenen Ambulantisierungswelle sei in der Reha (noch) nichts zu spüren. Weil Kosten gespart würden müssten, werden trotz steigenden Bedarfs momentan schlicht weniger Fälle rehabilitiert. Und das geht zu Lasten der Patientinnen und Patienten und sorgt daher bei Prof. Krischak für Unverständnis: Denn seiner Einschätzung nach könnte man Kosteneinsparungen vor allem dadurch realisieren, dass einerseits Ineffizienzen abgeschafft werden und andererseits die ambulante Rehabilitation gefördert wird - und das nicht nur zum Wohle der Rentenkassen, sondern vor allen Dingen auch zum Wohle der Patientinnen und Patienten, denen momentan teilweise gar keine Reha verordnet wird!
Das klingt alles logisch. Was muss im Reha-System jetzt konkret passieren?
In erster Linie ist jetzt für alle Beteiligten eine gute Planbarkeit notwendig. Denn mehr Ressourcen und Kapazitäten werden nur dann eingerichtet, wenn der Gesetzgeber regulierend eingreift. "Denn", davon ist Prof. Krischak überzeugt, "der Markt allein wird's nicht richten."
Wir freuen uns, dass Prof. Krischak sowohl die ambulanten Reha und uns als Nanz medico auf dem 41. AGA-Kongress mit diesem wichtigen Thema vertreten konnte, bedanken uns bei den Veranstaltern herzlich für die Einladung und bei Prof. Krischak für sein großes Engagement!